APA: Nach beinahe einem Jahrzehnt der Abwesenheit aus dem Kino-Diskurs waren Sie voll und ganz im Serienuniversum von „Babylon Berlin“ eingetaucht. Viele Menschen fürchteten bereits, das Kino könnte Sie verloren haben…
Tom Tykwer: Es ist eine unumstößliche Tatsache, dass die ernsthafte Produktion einer Serie Jahre in Anspruch nimmt. Es ist vergleichbar mit dem Schreiben eines Romans – die Bindung an das Projekt ist langanhaltend, im Gegensatz zu einem Band mit Kurzgeschichten, der schneller vollendet werden kann. Rückblickend war mir nicht ganz bewusst, wie intensiv die Arbeit an „Babylon Berlin“ tatsächlich sein würde. Inzwischen bin ich seit zwölf Jahren mit diesem Projekt beschäftigt.
APA: Sind Sie der „Babylon“-Welt nie überdrüssig geworden?
Tykwer: Ja, im Laufe der Zeit wird man zu einem regelrechten Fachidioten und fühlt sich wie in einem Kosmos gefangen. Ich bin jedoch eine Person, die gerne mit jedem neuen Projekt in unbekannte Themen und Orte eintaucht, weil man sich ja nicht aus seiner eigenen Haut herausbegeben kann. Bei „Babylon Berlin“ hingegen beschäftigt man sich jedes Jahr mit derselben Stadt, denselben Charakteren, allerdings in einem anderen Jahr. Ich habe lernen müssen, das zu akzeptieren und zu umarmen. Ein fünfzigstündiger Film zu sein, ist eine faszinierende Herausforderung und hat sich mittlerweile zu einer zentralen Säule meiner Arbeit entwickelt.
APA: Was brachte Sie dazu, zum Kino zurückzukehren?
Tykwer: Der Wunsch, ins Kino zurückzukehren, brannte schon lange in mir. Das Kino erlebt zurzeit eine Renaissance, insbesondere das künstlerische Kino. Ich wollte endlich wieder über „uns“ sprechen und nicht über die Generation meiner Großeltern. Unsere Gesellschaft steht am Rand der Überforderung und wir kämpfen, wie wir mit der chaotischen und herausfordernden Gegenwart umgehen können.
APA: Haben Sie aus dem Format der Serie etwas gelernt?
Tykwer: In der Tat befruchten sich beide Formate gegenseitig. Durch die Serienproduktion habe ich das serielle Erzählen erlernt, dank dem wir beim Filmemachen flexibel werden können; wir können in einer Handlung verweilen oder eine Nebenfigur näher beleuchten. Dies ist ein enormer Vorteil, der dem Kino erlaubt, mehr Risiken einzugehen.
APA: Ihr neuer Film „Das Licht“ behandelt nahezu alle bedeutenden Fragen unserer Gegenwart. Betrachten Sie ihn als Ihr Opus magnum?
Tykwer: Das war nie mein Ziel. Ich wollte einen Gegenwartsfilm erstellen, der reflektiert, wie wir skurrilen Bewohner Westeuropas im Hier und Jetzt leben. Es erfordert ein breites Spektrum an Stimmen und Themen, um den bombardierenden Konflikten gerecht zu werden, die wir derzeit erleben. Diese Intensität der Herausforderungen habe ich in meinem Leben noch nie gespürt. Es fühlt sich an, als würde sich das Karussell unseres Lebens schneller drehen, und doch sind wir stark damit verbunden. Wir können dieser Realität nur begegnen, wenn wir uns damit auseinandersetzen und aktiv werden.
APA: Haben Sie das Konzept der individuellen Fragilität aus der Kleinfamilie heraus entwickelt?
Tykwer: Ja, die Familie scheint oft ein geschlossenes System zu sein. Dennoch führt jeder in seinem eigenen Tunnelsystem ein isoliertes Leben, obwohl sie oft im gleichen Raum sind. Um die Fragilität der Gegenwart wahrhaftig zu erzählen, ist es notwendig, auf das Persönliche zurückzugreifen. Ich habe eine Familie und Kinder, die heranwachsen und jetzt beginnen, die Dinge in Frage zu stellen. Sie spiegeln die Unzufriedenheit wider, die wir hinterlassen haben, und ich erlebe diese Konflikte am eigenen Leib, weshalb ich sie authentisch erzählen kann. Ich identifiziere mich mit jeder Figur und ihrer Perspektive und kann die Wut der jungen Generation gut nachvollziehen.
APA: Ist es zusätzlich aufschlussreich, dass die Generationen heute enger miteinander verbunden sind als früher?
Tykwer: Absolut. Wir sind in einer offenen Lebenskultur aufgewachsen und haben diese Werte an unsere Kinder weitergegeben. Es gibt ein tieferes Verständnis, aber damit einher kommen auch direktere Vorwürfe: „Wir wissen, dass ihr Chancen verspielt habt, die ihr nicht hättet verspielen dürfen.“ Diese Erkenntnis ist schmerzhaft und hat eine tiefere Bedeutung.
APA: Der Weg, wie sich die Charaktere in Ihrem Film wieder öffnen, führt über eine Licht-Apparatur. Welche Bedeutung hat dieses Gerät?
Tykwer: Es handelt sich um eine neue Form der Lichttherapie, die ich kennengelernt habe, welche die auf Spiritualität basierenden Erfahrungen mit Hochtechnologie verbindet. Für mich verkörpert das Kino genau diese Essenz: Es ist eine Hightech-Lichtmaschine, die tiefgreifende Emotionen hervorruft. In diesem Kontext spiegelt die Apparatur im Film die Funktion des Kinos wider.
APA: In „Das Licht“ präsentieren Sie Berlin im ständigen Regen. Hatten idyllische Ansichten über Ihre Heimat keinen Reiz für Sie?
Tykwer: Regen hat eine eigene, fast poetische Schönheit und ist ein extrem filmisches Element. Wasser ist das zentrale Motiv des Films – wir stehen im Regen und bahnen uns einen Weg durch die Fluten. Die Welt steht am Abgrund, hat aber noch immer die Chance auf Veränderung. Ein Schlüssel dafür ist das Zuhören und die Überwindung der Isolation in unseren „Tunneln“. Die Industrie möchte, dass wir weiterhin die besten Konsumenten bleiben, anstatt diese tiefere Verbindung zu suchen.
APA: Wie in all Ihren Filmen finden auch in „Das Licht“ poetische Momente statt, die einen Blick in andere Realitäten bieten. Entspricht das Ihrer Weltsicht?
Tykwer: Das ist die Essenz des Kinos – es sollte mehr sein als einfache Dialoge. Wenn man Menschen authentisch porträtieren will, muss man herausfinden, wie das Medium Film dazu beitragen kann. Es sollte über das Gewöhnliche hinausgehen und Menschen in ihren facettenreichen Erfahrungen erfassen.
APA: Trotz der schonungslosen Enthüllung der gegenwärtigen Gesellschaft endet „Das Licht“ dennoch auf einer positiven Note. Sehen Sie sich selbst als Optimisten?
Tykwer: Pessimistische Kunst spricht mich nicht an; sie fühlt sich an wie eine Unterbrechung des kreativen Ausdrucks. Kunst ist an sich ein optimistischer Akt, es geht darum, etwas Schönes zu schaffen. Es wäre paradox, eine hoffnungslose Geschichte zu erzählen. Ich kann mich an keinen Film erinnern, der mich ohne einen Funken Hoffnung zurückgelassen hat, denn selbst tragische Enden sollten den Wunsch nach einer anderen Alternative transportieren. Kunst sollte uns dazu anregen, die Schönheit in der Welt zu bewahren!
(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)
Zusammenfassung
Tom Tykwer reflektiert in diesem Interview über seine lange Reise mit „Babylon Berlin“ und die Herausforderungen, die mit der Rückkehr zum Kino verbunden sind. Der Film „Das Licht“ behandelt die Zerbrechlichkeit unserer Gegenwart und die Verbindungen zwischen den Generationen, und Tykwer bietet einen Einblick in seine kreative Philosophie. Letztendlich bleibt er ein Optimist, der an die Kraft der Kunst glaubt, um Hoffnung und Schönheit in die Welt zu tragen.