„Der Österreich-Pavillon macht heuer etwas Einzigartiges, was auf der Biennale so normalerweise nicht passiert: Dass ein Land ein anderes Land einlädt, um sich selbst zu reflektieren und in weiterer Folge gemeinsam nachzudenken“, erklärte Obrist (TU Wien/feld72 architekten) im APA-Gespräch im Vorfeld der Eröffnung. Ausgehend von einer Recherchereise nach Zürich, wo es durch den Prozess des Häuserkampfes schlussendlich zur Ausformulierung von „außergewöhnlichen radikalen, qualitätsvollen Wohnprojekten“ kam, widmete man sich im vergangenen Jahr den gegensätzlichen Situationen in Wien und Rom. Parallel dazu haben die geopolitischen Entwicklungen die Frage nach leistbarem Wohnraum weiter verschärft. „Die Brisanz des Themas hat uns auf so vielen Ebenen eingeholt“, so Pollak (Kunstuniversität Linz/Köb&Pollak Architektur). „Insofern wurden wir darin bestärkt, dass wir genau das richtige Thema behandeln.“
Die Wohnungsfrage war in Rom schon immer eine Notsituation, wie Romito (Kunstuniversität Linz/Stalker) zur APA bemerkte. „Dieser Kampf um Wohnraum ist die grundlegende Kraft, die soziale Bewegungen zur Schaffung innovativer kollektiver Wohnformen führt.“ Jedes der sechs in Venedig präsentierten Projekte – von „Spin Time“ über „Porto Fluviale“ bis zu „Metropoliz“ – hat eine eigene und einzigartige Geschichte, die aus der Verbindung zwischen dem Kampf für Wohnrechte und Vergessen ergibt. Dabei handelt es sich oft um stillgelegte Orte, die eine Umnutzung erfahren haben. „Um diese Dynamik zu beschreiben, habe ich den Begriff der Exaptation aus der Evolutionsbiologie entlehnt. Die Innovation kommt hier nicht von einem Projekt, sondern von einem Ort, der sich entsprechend einem Lebensprojekt verändert“, erläutert Romito.
Im Pavillon wird die strenge Symmetrie von Josef Hoffmann genutzt, um die beiden Städte Wien und Rom getrennt zu beleuchten. Im Hof wird ein Diskursraum („Space of Negotiation“) eröffnet, um beide Welten zusammenzuführen. Eine Installation interpretiert dabei einen 1954 von Hoffmann geplanten, nierenförmigen Pool, in den klimaresistente Pflanzen eingelassen sind. Diese „Klimagewinner“ können der prognostizierten Hitze in Wien und Rom erfolgreich Widerstand leisten.
- Wiener Seite: Der Pavillon erzählt die über 100-jährige Geschichte des Wiener Wohnbaus nicht chronologisch, sondern durch die Linse von acht Themen, wie neue Quartiere, Gender-Planning und die Rolle von Pionier:innen im System.
- Gespräche mit Expert:innen: Pollak, Obrist und Romito haben Gespräche mit Pionier:innen, Aktivist:innen und Expert:innen aus der Stadtplanung in Wien und Rom geführt.
In einer Stadt wie Wien, die viel für ihre Bürger tut, bleibt die Frage, wie man die Zivilgesellschaft emanzipatorisch stärken kann. „Damit die Gesellschaft nicht nur bekümmert wird, sondern sich auch selbst um ihre Stadt und die anderen kümmert“, sagt Obrist. Ein Beispiel wirkt dabei Margaret Thatchers „The Right to Buy“-Gesetz, das den sozialen Wohnbau in London nachhaltig verändert hat. Wien hingegen hat in den 1980er Jahren, als die Stadt 500.000 Einwohner weniger hatte, vorausschauend gehandelt und Grundbesitz erworben.
„Die enorme Wohnbauproduktion der vergangenen Jahre wurde zum ersten Mal zu einer Stadtproduktion, weil die Quartiere so groß sind, dass sie fast schon ‚Stadt machen‘“, erläutert Obrist die Herausforderungen von Großprojekten wie Seestadt oder Nordbahnviertel. Hier wird nicht nur „Gemeinschaft“ geschaffen, sondern „Gesellschaft“. Das Thema leistbarer Wohnraum ist inzwischen auch auf europäischer Ebene angekommen, was die Schaffung des neuen EU-Kommissars für Wohnungswesen bestätigt.
Ein Sonderausgabe der Architekturzeitschrift „Arch+“ wird anstelle eines Katalogs produziert. Laufende Diskussionsveranstaltungen werden engmaschig über Social Media (z.B. YouTube, Instagram) begleitet. „So produzieren wir ein kontinuierliches, sich anreicherndes Archiv, ähnlich einem Manifest“, erklärt Pollak. Der Pavillon beabsichtigt, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Wien und Rom herauszustellen, da in Rom die Eigentumsfrage gravierender ist.
„Das kollektive Wissen aus Rom, wie man mit Leerstand umgeht und sich organisiert, kann hier in den Dialog mit den Versuchen in Wien gesetzt werden, wo neue Wohnmodelle erforscht werden“, so Romito. Auch der Fotograf Armin Linke hat eine beeindruckende Fotoserie erstellt, die versteckte Verhandlungen hinter der Wohnraumproduktion zeigt und Lebensrealitäten aus Wien und Rom dokumentiert.
(S E R V I C E – 19. Architekturbiennale von Venedig, 10. Mai bis 23. November.)
Zusammenfassend bietet der Österreich-Pavillon auf der Biennale nicht nur einen tiefen Einblick in die Wohnproblematik beider Städte, sondern auch eine Plattform für den Dialog über innovative Wohnformen. Diese Ausstellung könnte als Ausgangspunkt für langfristige Veränderungen in der Wohnraumstrategie beider Städte dienen.
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