Nach ungefähr 15 Kilometern bemerke ich sie: Ermüdung – meine Beine fühlen sich schwer an. Und ich bin noch nicht einmal ein Drittel meiner geplanten Strecke gelaufen. Gedanken sprudeln in meinem Kopf: Wie soll ich bloß …? Was, wenn ich …? Warum habe ich…? Warum habe ich nicht …? Hätte ich doch … Mein Kopf rebelliert, Zweifel überfluten mich. Plötzlich fällt mir ein Zitat von Nietzsche ein: Amor Fati – liebe es: Alles. Diese Philosophie des Hinnehmens und der Akzeptanz könnte mir der Schlüssel sein.
Rückblende
Gestern Abend, beim Spaziergang, schien alles machbar. Ach, was ist schon ein Marathon? sagte ich mir. Ich werde vorher frühstücken, um Energie zu tanken. Ich plante sogar, eine Flasche mit Aminosäuren und schnellen Kohlenhydraten für das letzte Drittel vorzubereiten. Alles deutete darauf hin, dass ich es schaffen könnte.
Der Moment
Doch jetzt fühle ich auch den Durst – ein weiteres Zeichen meiner Anstrengung. Ich laufe seit über zwei Stunden und habe nichts getrunken. Mein nächstes Ziel: Die Ladestation, meine Wohnung, bevor ich die restlichen geschätzten 30 Kilometer angehe. Ziel ist es, diesen Marathon zu beenden, auch wenn ich nicht die Courage für einen Ultra aufbringen kann. Physisch fühle ich mich bis auf einige ziehende Waden relativ gut, aber mental gerate ich ins Straucheln.
Der Lauf
Der Durst überlagert schließlich meine Zweifel und gibt mir einen neuen Fokus. Wenn sich mir eine Gelegenheit bietet, laufe ich bewusst bergauf. Jeder Meter zählt. Ich bin im stetigen Zweifel, ob ich nach dem Marathon weiterlaufen werde, doch ich nehme mir diese Option raus, um mich nicht zu entmutigen.
Zurück zur Nagelprobe
endlich erreiche ich meine Wohnung. Trinkend aus der Flasche mit den Aminosäuren und Kohlenhydraten, fühle ich mich besser. Ich habe bereits die Hälfte meiner geplanten Distanz hinter mir. Die Hoffnung wächst, während die Sonne über mir aufgeht. Vielleicht schaffe ich es ja doch?
Erfahrungen
Die kommenden Kilometer sind gefüllt mit Gedanken und körperlichen Schmerzen, die manchmal kommen und gehen. Das Ziel bleibt jedoch klar vor mir. Ich meide Abkürzungen und laufe die zusätzlichen Meter bergauf. Der Prozess selbst ist das Ergebnis, sage ich mir immer wieder.
Mein Warum
Es kommt der Moment, in dem ich einer Frau im Rollstuhl begegne. Hallo, sage ich, so freundlich ich kann. „Hallo“, antwortet sie und ihr Lächeln allein gibt mir Energie. Ich laufe nicht nur für mich; ich laufe auch für all die Menschen, die aufgrund von Krankheiten oder Behinderungen nicht laufen können. Ich denke an Fatima, die ich an mir vorbeiziehe und schmunzele.
Erinnerungen
Ich stelle fest, dass ich nach zehn Jahren wieder bewusster meine rechte Seite wahrnehme. Das Sonnenlicht weckt Erinnerungen an verpasste Gelegenheiten und ich frage mich, welche Wunder die neuen Therapieansätze für mich bereithalten könnten.
Entscheidungsmoment
Nach der zweiten Runde kehret ich zu meiner Wohnung zurück. Müde, aber zielstrebig, entscheide ich, dass ich noch einen weiteren Schritt wagen will. Es ist genug, sage ich mir, selbst wenn ich vielleicht die 52 Kilometer nicht erreichen kann. Mein einziges Ziel bin ich selbst.
Zielgerade
Endlich laufe ich in meine Straße ein. Nach einer letzten Ehrenrunde schalte ich in den Gangmodus und bleibe stehen. Als ich auf meine Uhr schaue, zeigt sie 52 Kilometer an. Wow. Ich habe es tatsächlich geschafft. Freude, Stolz und Dankbarkeit überkommen mich. Ich bin dankbar für die letzten zehn Jahre, für das Leben, das ich habe. Und ich liebe es – alles.