APA: Itay Tiran, Ihre Präsenz bei den Wiener Festwochen ist bemerkenswert: Sie agieren nicht nur als Schauspieler in Elfriede Jelineks „Burgtheater“, sondern begleiten auch als Regisseur die Aufführung von „Richard III“. Diese Produktion wurde im Jahr 2023 in Israel inszeniert. Was waren die Beweggründe und die begleitenden Umstände zu diesem Werk?
Itay Tiran: Mein vorrangiges Ziel war es, ein Stück zu finden, das die gegenwärtige gesellschaftliche Lage widerspiegelt. Dies war meine erste Regiearbeit in Israel seit sechs Jahren und ich arbeitete zum ersten Mal am Gesher Theater in Jaffa. Zudem wollte ich die sehr talentierte Schauspielerin Evgenia Dodina einbeziehen, mit der ich bereits in Stuttgart in „Vögel“ von Wajdi Mouawad zusammen gearbeitet hatte. Sie ist eine zentrale Figur in diesem Theater. „Richard III“ erschien mir als dürftige Metapher für die politische Lage. Im Spätsommer 2023, während wöchentlicher Proteste gegen die Justizreform, spürte man die Bedrohung unserer Demokratie. Die Gesellschaft war stark polarisiert. Mich interessierte weniger die Behinderung der Hauptfigur, sondern die verkrüppelte Gesellschaft, die sie umgibt. Daher stellt Richard eher eine Geschlechtsneutralität dar. Die entscheidende Frage lautete: Unter welchen Bedingungen entsteht ein solcher politischer Wille?
APA: Nur wenige Wochen später änderte sich die Situation in Israel dramatisch durch den Überfall der Hamas.
Tiran: Der Überfall am 7. Oktober war ein tiefgreifender Schock für uns alle. Wir hatten bereits mit einem prä-apokalyptischen Gefühl gearbeitet. Zuschauer, die unsere Aufführung nach diesem Datum sahen, waren entsetzt, wie wir dieses Stück zuvor kreiert hatten. Die Inszenierung beginnt mit einer Techno-Party auf der Bühne, und der israelische Schlager „Licht“ von Shoshana Damari verstärkt die Nähe zu der tragischen Nova-Party, bei der ein Massaker stattfand. Die Aufführung führt weiter zu Bildern von Königin Elisabeth, die verzweifelt nach ihren verbrannten Kindern sucht, deren Asche über die Bühne verteilt ist. Diese Darstellungen reflektieren das Gefühl der Zerstörung und des Untergangs, das in der Gesellschaft nach den Ereignissen des 7. Oktober vorherrschte.
APA: Wie hat sich die israelische Zivilgesellschaft seit diesen Ereignissen verändert?
Tiran: Leider hat sich nach dem 7. Oktober ein großer Pessimismus in der Gesellschaft breitgemacht. Dennoch dürfen wir nicht vergessen, dass der Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern nicht erst mit den jüngsten Ausschreitungen begonnen hat. Der Hintergrund bleibt von entscheidender Bedeutung. Unter den aktuellen Umständen ist es schwer, eine optimistische Perspektive zu haben, aber ich bleibe überzeugt von der Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Lösung. Dies bleibt für mich die einzige Möglichkeit, um in Frieden miteinander zu leben. Meine Sichtweise auf die Konflikte wurde durch diese tragischen Ereignisse nicht verändert.
APA: Im vergangenen Jahr versuchten die Wiener Festwochen, den Ukraine-Krieg aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten, was letztlich nicht gelang und abgesagt werden musste. In diesem Jahr wird Ihre Inszenierung zusammen mit einem „Die Perser“-Gastspiel palästinensisch-israelischer Performer einen Dialog eingehen. Ist das für Sie problematisch?
Tiran: Ganz und gar nicht! Wir arbeiten nicht konträr zueinander. Die Festwochen haben sich das Ziel gesetzt, ein breites Spektrum verschiedener Stimmen darzustellen. Ich habe das Stück „Die Perser“ noch nicht gesehen, aber ich bin überzeugt, dass es eine tiefgreifende, künstlerische Auseinandersetzung bietet.
APA: US-Präsident Donald Trump hat eine visionäre Idee für den Gazastreifen skizziert – als Touristenziel ohne Palästinenser. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu zeigte sich überraschend positiv. Wie stehen Sie dazu?
Tiran: Solche Ideen sind nichts weniger als grausam! Ich war schockiert über seine Äußerungen. Es ist bedauerlich, dass rechtspopulistische Politiker die chaotischen Stimmungen ausnutzen, die Figuren wie Donald Trump hervorrufen. Netanyahu könnte nur überleben, indem er diese Gewalt nutzt, während vernünftige Lösungen und Stabilität sein politisches Ende bedeuten würden.
APA: Elfriede Jelinek behandelt in „Burgtheater“ ein ganz anderes Thema – das verdrängte NS-Vergangenheit Österreichs. Wie stehen Sie zu diesem Stück?
Tiran: Das Stück ist ebenso einzigartig wie anspruchsvoll und sicherlich nicht typischer Jelinek-Stil. Die Sprache ist herausfordernd und zwingt mich, mich selbst damit auseinanderzusetzen. Ich freue mich auch darauf, mich mit meiner eigenen Geschichte sowie dem Umgang mit jüdischen Schauspielern am Burgtheater zu beschäftigen. Das Stück bietet eine großartige Gelegenheit, über das Schweigen der Mitläufer und Mittäter nachzudenken. Besonders gespannt bin ich darauf, wie Milo Rau dem Stück eine Meta-Ebene hinzufügen wird, indem wir als Ensemble uns selbst spielen. Nach der letzten Wahl ist es entscheidend, den Dialog zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu suchen, und genau das will Milo Rau erreichen.
(Das Gespräch führte Wolfgang Huber-Lang/APA)
(S E R V I C E – „Richard III“ von William Shakespeare, Regie: Itay Tiran, Gastspiel des Gesher Theatre, Tel-Aviv, bei den Wiener Festwochen, Hebräisch mit deutschen und englischen Übertiteln, Theater Akzent, 21.-23. Mai; „Burgtheater“ von Elfriede Jelinek, Regie: Milo Rau, mit Mavie Hörbiger, Annamária Láng, Birgit Minichmayr, Nicholas Ofczarek, Caroline Peters, Safira Robens, Itay Tiran, Tilman Tuppy, Maja Karolina Franke und Alla Kipermann, Koproduktion des Burgtheaters mit den Wiener Festwochen, Burgtheater, 18., 20., 23. Mai, 1., 9., 14., 20. Juni.)
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Itay Tiran in seinen Arbeiten nicht nur die gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen reflektiert, sondern auch zugleich einen Dialog über die Vergangenheit und deren Konsequenzen anregt. Der Mut und die Tiefe, mit der er sich solchen Themen nähert, bieten wertvolle Anknüpfungspunkte für ein breiteres Publikum, und seine Inszenierungen laden dazu ein, über unsere eigene Verantwortung in einer komplexen Welt nachzudenken.
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