Probleme und Herausforderungen homosexueller Senior*innen
Menschen, die heute im Alter sind, stammen aus Zeiten, in denen es nicht üblich war, offen als schwul, lesbisch oder bisexuell zu leben.
In Deutschland und Österreich gab es lange Zeit gesetzliche Verfolgung und eine strikte Strafgesetzgebung, die Homosexualität rigoros bestrafte und Inhaftierungen nach sich ziehen konnte. Auch in der Psychologie wurde Homosexualität bis in die 1990er Jahre als schwere psychische Störung betrachtet, die als abartige Perversion galt, die es durch Konversionstherapien zu „heilen“ galt. In den Kirchen wurden schwule, lesbische und bisexuelle Personen als schwere Sünder verurteilt.
Schwul, lesbisch und bisexuell im Alter
Traumata und Verletzungen können im Alter erneut auftreten
Ältere und hochbetagte Menschen wuchsen in einer Zeit auf, in der strafrechtliche Verfolgung, soziale Isolation, Verlust des guten Rufs, Berufsverlust und gesellschaftliche Diskriminierung drohten, falls ihre Homosexualität ans Licht kam. Diese Erlebnisse hinterließen oft Wunden und Traumata, die sich tief in die Psyche eingebrannt haben. Viele Betroffene konnten sich nicht einmal im Familien- oder Freundeskreis outen und fühlten sich enorm einsam. Häufig waren sie gezwungen, Scheinehen einzugehen und ein belastendes Doppelleben zu führen. Ihre Homosexualität oder Bisexualität musste ein Leben lang geheim gehalten werden.
Das Ausleben romantischer, erotischer und homosexueller Bedürfnisse war mit hohen Risiken verbunden.
Ältere schwule und lesbische Menschen mussten ihr ganzes Leben lang eine falsche Identität und ein falsches Ich vorspielen. Sie waren gezwungen, Heterosexualität zu simulieren, da ihnen sonst soziale Ausgrenzung drohte.
Bis in die 1990er Jahre wurde Homosexualität zudem mit Pädophilie gleichgesetzt. Schwule und bisexuelle Männer wurden automatisch als perverse Kinderschänder und Päderasten abgestempelt („der böse Onkel verführt und missbraucht Jungen und junge Männer„). Diese Ängste wirken auch heute noch bei älteren Menschen nach, da sie sich über Jahrzehnte festgesetzt haben.
Reportage: Der schmerzhafte Weg zum Outing: „Gay & Grey“-Treffpunkt unterstützt schwule Senioren
Ein Film von SWR Landesschau Rheinland-Pfalz
Ältere schwule Männer berichten von Polizeigewalt, Zwangspsychotherapien und Inhaftierungen aufgrund ihrer homosexuellen Bedürfnisse – ein erschütterndes Zeugnis über das immense Leid homosexueller Menschen bis in die 1980er Jahre.
Ältere homosexuelle/bisexuelle Menschen und verinnerlichte Homophobie
Viele homosexuelle und bisexuelle Männer und Frauen haben die gesellschaftliche Homophobie verinnerlicht und betrachten sich selbst fortan als krank, pervers, sündhaft und abartig. Dies wird als „verinnerlichte Homophobie“ bezeichnet.
Es ist nicht verwunderlich, dass es so wenige ältere, alte und hochbetagte Menschen gibt, die offen zu ihrer Homosexualität oder Bisexualität stehen.
Innerhalb der Schwulen- und Lesbenszene fehlt es an einer Kultur des guten Alterns
Auch in der schwulen und lesbischen Mainstream-Community gibt es nicht viel Akzeptanz für ältere schwule, lesbische und bisexuelle Menschen. Ein ungesunder Jugendkult dominiert, und jeder über 40 gilt bereits als alt. Nur wer jung, attraktiv und durchtrainiert ist, wird in der kommerziellen Szene als schön und ansprechend wahrgenommen.
Es ist auffällig, dass in der Schwulen- und Lesbenszene kaum Menschen über 55 Jahre anzutreffen sind. Besuchen ältere Menschen dennoch schwule oder lesbische Orte, werden sie häufig belächelt, bemitleidet oder nicht ernst genommen und damit stigmatisiert. Sie stellen eine Minderheit innerhalb einer Minderheit dar.
Somit bleibt die gesamte Mainstream-Szene zu jung und altert nicht. Es wird kein kollektives Erfahrungswissen über gutes Altern geschaffen.
Dokumentation: „Ein sicherer Raum für LGBTQ Senior*innen“
Wir halten immer noch an veralteten Bildern von Pflege fest, die nicht mehr zeitgemäß sind. Pflege ist zudem keine Unterdisziplin der Medizin, sondern eine eigenständige Profession, die einen sozialwissenschaftlichen Beruf darstellt. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil interdisziplinärer Teams rund um die Patient*innen. Dieser Ansatz kann Pflegenden dabei helfen, besser mit sich selbst, Diversität und LGBTIQA* umzugehen.
Psychotherapie im Alter kann eine Barriere darstellen
Der Kontakt zu einem Psychotherapeuten oder einer Psychotherapeutin gestaltet sich besonders schwierig, wenn diese Person nicht aus der LGB-Community stammt. Es gibt weiterhin zu wenige Psychotherapeut*innen, die auf Homosexualität und Bisexualität spezialisiert sind und über entsprechende Fachkompetenz verfügen.
In diesem Zusammenhang können Selbsthilfegruppen und Teilhabegruppen eine wichtige psychologische und soziale Unterstützung bieten, da wir als soziale Wesen Gemeinschaften benötigen, in denen wir uns geborgen fühlen.
Die Bundesvertretung schwuler Senioren (BISS) in Deutschland
BISS hat sich zur Aufgabe gemacht, die Selbstorganisation, Selbsthilfe und gesellschaftliche Teilhabe älterer schwuler Männer zu fördern und stellt damit eine Bewegung zur Stärkung und Emanzipation dar, da Homosexualität und Bisexualität im Alter weiterhin ein Tabuthema sind.
Kontaktiere Biss, wenn Du Informationen über Selbsthilfegruppen suchst.
Autor: Florian Friedrich
Psychotherapeut in Salzburg / Hamburg