Nach dem Amoklauf an einer Grazer Schule am Dienstag hat MeinBezirk mit Josef Zollneritsch gesprochen. Der steirische Schulpsychologe war den ganzen Tag vor Ort und erklärt im Interview, wie Kindern und Jugendlichen jetzt geholfen werden kann.
GRAZ. Der Amoklauf am BORG Dreierschützengasse in Graz hat nicht nur die betroffenen Familien, sondern die gesamte Gesellschaft erschüttert. Bei diesem tragischen Vorfall sind zehn Menschen ums Leben gekommen. Josef Zollneritsch leitet die Abteilung für Schulpsychologie und Schulärztlicher Dienst der Bildungsdirektion Steiermark und spricht im Interview mit MeinBezirk über die aktuelle Situation sowie die Unterstützungsmöglichkeiten für Kindern und Jugendlichen nach solch einem traumatischen Erlebnis.
Interview mit Psychologe Josef Zollneritsch
- Ein ehemaliger Schüler hat heute im BORG Dreierschützengasse das Feuer eröffnet. Zehn Todesopfer sind zu beklagen. Sie sind den ganzen Tag bereits vor Ort und mit Ihrem Team in der Krisenintervention tätig. Wie bewerten Sie die Situation?
Josef Zollneritsch: Es ist eine schwerwiegende Situation. Das Betroffenheitsgefühl durchdringt nicht nur die Schule, sondern auch alle anderen Schulen und die gesamte Gesellschaft. Unsere Vorgehensweise basiert auf einem Kriseninterventionsmodell, welches genau festgelegte Abläufe und Betroffenheitskreise beinhaltet. Interventionen können sowohl individuell als auch in Gruppen durchgeführt werden.
Es ist wichtig, dass Kinder und Jugendliche ermutigt werden, über die Situation zu sprechen. Sie sollen ihre Wahrnehmungen und Gefühle ausdrücken, um das Erlebte zu verarbeiten.
- Wie sieht der Prozess der Unterstützung konkret aus?
Die Art der Unterstützung hängt stark von den individuellen Bedürfnissen ab. Wir führen Gespräche mit betroffenen Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern. Unser Ziel ist es, nachhaltige Traumatisierungen zu verhindern. Während einige Betroffene schon durch ein einziges Gespräch Entlastung erfahren, bedürfen andere mehrfache Interventionen.
- Verstehen die Schülerinnen und Schüler bereits, was passiert ist?
Für die Betroffenen, insbesondere die Schülerinnen und Schüler, ist es oft schwer zu fassen, was geschehen ist. Solange keine gesicherten Informationen vorliegen, ist es umso schwieriger, einzuordnen.
- Wie groß ist Ihr Team? Können Sie den Bedarf nach Betreuung in der derzeitigen Situation decken?
Ab morgen werden uns Ressourcen aus ganz Österreich zur Verfügung stehen. Insgesamt 30 Psychologinnen und Psychologen werden im Einsatz sein, was die größte Mobilisierung in unserer bisherigen Geschichte darstellt. Dadurch können alle Schulen erreicht und unterstützt werden, die Hilfe benötigen.
- Wie sieht der Aufarbeitungsprozess konkret aus?
Es ist entscheidend, dass Kinder und Jugendliche ermutigt werden, über ihre Gefühle und Wahrnehmungen zu sprechen. Der Dialog ist das wichtigste Mittel, um diese Emotionen zu verarbeiten und sie nicht im Inneren festzuhalten. Mit der Zeit wird dieser Prozess eine kontinuierliche Herausforderung für die gesamte Schulgemeinschaft darstellen, doch Einzelpersonen können durch gezielte Maßnahmen Entlastung finden.
- Wie kann es zu so einer Tat kommen?
Solche Taten sind oft das Ergebnis komplexer psychosozialer Faktoren. Menschen, die sich gesellschaftlich ausgeschlossen oder gemobbt fühlen, suchen häufig nach Wegen, um ihren tiefen Frust auszudrücken. Es ist entscheidend, dass wir präventive Maßnahmen ergreifen und frühzeitig eingreifen, um solche Extremfälle zu verhindern.
- Wie sollten Eltern oder Lehrkräfte mit Kindern über solche Vorfälle sprechen?
Es ist wichtig, aktiv das Gespräch mit Kindern und Jugendlichen zu suchen. Fragen Sie, ob sie etwas gesehen oder gehört haben und ermutigen Sie sie, ihre Gefühle auszudrücken. Solche Dialoge schenken den Betroffenen die Möglichkeit, sinnvolle Bewältigungsmechanismen zu entwickeln und zu lernen, wie sie mit schwierigen Emotionen umgehen können.
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Zehn Todesopfer und zwölf Verletzte bestätigt. Informationen darüber, wie Eltern ihre Kinder unterstützen können, sind ebenfalls verfügbar. Die Polizei hat zehn Tote, darunter auch den Täter, bestätigt.