Wie Wien war: Die Gründung der ersten Kinderübernahmestelle Europas in Wien


Die Glosse „Wie Wien war“ befasst sich auf unterhaltsame Weise mit der Geschichte der Stadt Wien. In dieser Episode wird das Schicksal von Findel- und Waisenkindern beleuchtet sowie die Gründung der ersten europäischen Kinderübernahmestelle in Wien.

WIEN. Schon in der frühen Neuzeit existierten in Wien verschiedene Verordnungen und Stiftungen, die sich um elternlose oder ausgesetzte Kinder kümmerten. Das St. Marxer Spital, eines der ältesten Spitäler der Stadt, hatte eine spezielle Einrichtung für ledige Schwangere und stellte sicher, dass sowohl Mütter als auch ihre Neugeborenen Unterstützung erhielten. Im Jahr 1663 erbeutete der Freiherr von Chaos durch sein Testament eine Stiftung, die das Bürgerspital mit der Betreuung von Findel- und Waisenkindern beauftragte. Diese frühen Initiativen zeugen von einem ersten Schritt in Richtung sozialer Verantwortung und öffentlicher Gesundheitsfürsorge.

Eine Aufnahme aus dem Hof der Kinderübernahmestelle in der Lustkandlgasse 50 am Alsergrund. | Foto: A. & E. Frankl / Ullstein Bild / picturedesk.com

Im 18. Jahrhundert stieg die Anzahl ausgesetzter Kinder dramatisch, oft als Folge von katastrophalen Lebensumständen der Mütter. Der Kaiser Joseph II. war tief besorgt über diese Entwicklungen und gründete 1784 das Wiener Findelhaus, das bis 1910 aktiv war. Diese Institution war eine der ersten ihrer Art in Europa und diente als Modell für ähnliche Einrichtungen in anderen Städten.

Wien beschließt den Bau der Kinderübernahmestelle

1923 wurde im Wiener Gemeinderat der Antrag zum Bau einer modernen Kinderübernahmestelle verabschiedet. Der Bau in der Lustkandlgasse 50 im 9. Bezirk wurde 1925 vollendet. Die Übernahmestelle hatte die Aufgabe, Säuglinge, Kleinkinder und Jugendliche, die von Fürsorgerinnen begutachtet wurden, aufzunehmen. Die Kinder konnten entweder in Pflegefamilien, in Kinderheime oder, je nach Situation, wieder zu ihren leiblichen Eltern zurückgebracht werden.

Die ehemalige Kinderübernahmestelle in der Lustkandlgasse 50. | Foto: viennaslide / picturedesk.com

Bis 1964 wurden in der Übernahmestelle etwa 63.000 Kinder betreut. In den folgenden Jahrzehnten wurde jedoch beschlossen, einen Neubau zu initiieren, um die Betreuung modernisieren und in kleinere, familiäre Gruppen umstrukturieren zu können. Eine dieser Einrichtungen war im Schloss Wilhelminenberg untergebracht, das 1927 von der Stadt Wien übernommen wurde und heute noch als Ort Sozialer Arbeit dient.

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