Am 4. Mai 1919 wurde in Wien das erste Mal der Gemeinderat demokratisch gewählt. Stärkste Kraft waren damals die Sozialdemokraten.
WIEN. Mit dem Ende des Kaiserreichs erlebte die Demokratie in Österreich, aber auch in Wien, eine Sternstunde. Nur ein Jahr nach dem Ende des Ersten Weltkriegs fand ein wahres Superwahljahr statt. Am 16. Februar 1919 wurde die konstituierende Nationalversammlung gewählt – die erste Wahl, bei der auch Frauen wahlberechtigt waren.
Knapp darauf, am 4. Mai 1919, folgte in Wien die erste Gemeinderatswahl nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht. Die Sozialdemokraten errangen einen überwältigenden Sieg, und der Sozialdemokrat Jakob Reumann wurde zum Bürgermeister von Wien gewählt. Diese Wahl stellte nicht nur einen politischen Umbruch dar, sondern auch einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel, der die Basis für das „rote Wien“ legte, eine Ära, in der sozialdemokratische Ideen und Reformen das Stadtbild prägen sollten.
Sozialdemokraten vs. Christlich-Sozialen
Der regelmäßige Urnengang war eine neue Errungenschaft in einem Land, das sich vom Monopol der Monarchie befreit hatte. Nach der militärischen Niederlage im Oktober 1918 versuchte der Noch-Kaiser Karl I., die Monarchie durch eine Umgestaltung in einen Bundesstaat zu retten. Ein Gesetz über die Staats- und Regierungsform wurde verabschiedet, das die Wahl der konstituierenden Nationalversammlung festlegte. Diese fand am 16. Februar 1919 statt und setzte Maßstäbe mit dem Prinzip der Verhältniswahl und dem allgemeinen, gleichen, geheimen Stimmrecht für alle Staatsbürger, was einen bedeutenden Schritt in Richtung Gleichheit darstellt.
Gleichzeitig wurde die Durchführung der Wahlen in den Landes- und Gemeindevertretungen nach diesen demokratischen Grundsätzen angeordnet. Die Frage bei der Gemeinderatswahl am 4. Mai war entscheidend: Sollte Wien nach sozialdemokratischen Prinzipien umgestaltet werden, oder sollten die christlich-sozialen Vorstellungen aus der Zeit des Bürgermeisters Karl Lueger, der von 1897 bis 1910 im Amt war, weiterhin dominieren? Bis 1919 regierten die Christlich-Sozialen die Stadt, und ihre Konzepte prägten das gesellschaftliche Klima.
Beginn der Ära des roten Wiens
Bei der Wahl am 4. Mai 1919 errangen die Sozialdemokraten einen historischen Sieg. Von 165 zu vergebenen Mandaten erhielten sie 100, was fast zwei Drittel der Sitze ausmachte. Die Christlich-Sozialen kamen nur auf 50 Sitze, während die Tschechoslowakische Partei 8, die Großdeutschen 4 und die Jüdisch-Nationalen 3 Sitze erhielten. Die Wahlbeteiligung lag bei beeindruckenden 61,3 Prozent.
In seiner Antrittsrede erklärte Jakob Reumann: „Die Revolution hat die Vorrechte einzelner Klassen und Stände zertrümmert und die Gleichheit des Wahlrechtes hat dem neuen Gemeinderat seine gegenwärtige Gestaltung gegeben. Ich begrüße besonders die Frauen, die als Gleiche unter Gleichen durch den Willen der Bevölkerung hier im Saale, der für sie viel zu lange verschlossen blieb, Sitz und Stimme haben.“ Mit diesen Worten wurde die Ära des roten Wiens eingeläutet, in der soziale Reformen, bildungspolitische Errungenschaften und städtebauliche Verbesserungen stark gefördert wurden. Zudem wurden Wohnungen für die arbeitende Bevölkerung geschaffen, und die soziale Infrastruktur wurde deutlich gestärkt.
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